Martin M. Schwarz, Ulrich Sonnenschein (Hg.)
Hessen langsam
Orte gedehnter Zeit
Wird wirklich alles immer schneller? Ist das Leben des modernen Menschen Anfang des 21. Jahrhunderts wirklich nur von der Erfahrung unaufhaltsamer Beschleunigung beherrscht? – Von wegen! In Hessen jedenfalls nicht, in Hessen war schon immer alles anders. Bereits der Volksstamm der Chatten, auf den die Hessen historisch zurückzuführen sind, winkte ab, als die Völker sich Anfang des 1. Jahrtausends n.Chr. in Bewegung setzten. Seitdem haben sich hier immer Menschen gefunden, die besinnungslosem Vorwärtsdrang die Kunst der Verzögerung entgegensetzten. So haben sie Produkte, Kunstwerke und Räume geschaffen, in denen die Muße wirkt. Die »Aale Worscht«, Nordhessens Fleischspezialität Nr. 1, konnte nur entstehen, weil man sich eben Zeit für einen langsamen Reifeprozess nahm. Listigerweise ließ man in und um das Kurörtchen Bad Endbach herum Industrialisierung und technischen Fortschritt tatenlos an sich vorüberziehen und kann dafür heute stolz auf ein Stück Deutschland im Urzustand verweisen. »Hessen langsam – Orte Gedehnter Zeit« führt zu rund dreißig solcher Stationen in der hessischen Geschichte und Gegenwart, an denen das Ausscheren aus der Beschleunigungsspur des Zivilisationsprozesses sich als Gewinn für Individuum und Gesellschaft herausgestellt hat.
1. Verweigerte Bewegung
Mit Beharrlichkeit gegen den Lauf der Zeit – Wie aus Chatten Hessen wurden
Neuer König, alte Verse – Huldigung nach Marburger Art
Deutschland im Urzustand – Im Bad Endbacher Hinterland
Aber vergebens – Die Kronberger Streitkirche
Blue Bock Blues – Stillstand in Bornheim
Ein Unterlassungspionier – Königsberger Marzipan aus Wiesbaden
Der 25-km-Mann – Im Schongang durch Mittelhessen
2. Zeitzugriffe
Der langsame Weg der Sinne – Schloss Freudenberg in Wiesbaden
Kunstvolle Eintönigkeit – Die Hommage an Proust in Kassel
Vom langsamen Wachstum der Haare – Alte Zöpfe am Kasseler Hof
Im Fluss hin und her – die Zeitexerzitien des On Kawara auf der documenta 11
Und sie bewegt sich doch – Die Drift der Kontinente
3. Gelebte Ruhe
Buddhismus im Industriegebiet – die Pagode Hue in Frankfurt
Schopenhauer kann warten – Boule in Bornheim
Der Leerlauf der Zeit – Warten in der KFZ-Zulassung Frankfurt
Fabelhafter Widersinn – Vom Stand der Zeit im Stau
50 Schritte am Tag – Das Faultier Zippo im Frankfurter Zoo
Ort der Schrift in Weltabgeschiedenheit – Das Skriptorium im Kloster Fulda
Spurenelemente von Planungssicherheit – ein Standesamt in Frankfurt
4. Allmähliches Erstarken
Nur langsam wächst die Kraft – Im Fitness-Studio
Was lange wächst, klingt endlich gut – Gitarrenbau in Taunusstein
Unreglementierte Langsamkeit – Renaturierung in Frankfurt
Die Kultur des Aufschubs – Ein Fleischwarenhändler in Frankfurts Nordend
Nominiert fürs Weltwursterbe – Ahle Worscht
»Es ist gar keine Zeit« – Zur Reha in Bad Nauheim
Mit der notwendigen Zeit – Die Gestalttherapie der Lore Perls
5. Verzögerte Vollendung
Vorrang für 80-jährige – Der internationale Suchdienst in Arolsen
Die Geburt der Spätlese aus dem Geist des Verfalls – Verspätung auf Johannisberg
»Schlafe wohl, du kalte schöne Stadt« – Franz Dingelstedt im Kasseler Vormärz
Durch den Schlamm zur Zollstation – Langsam reisen in Hessen
Aus dem Tagebuch einer Postschnecke – Wie langsames Reisen die Revolution verhindert